Freitag, 19. Mai 2017

"Entspanne dich, lass das Steuer los, trudle durch die Welt, sie ist so schön." - Kurt Tucholsky

Mein Bauch fängt an zu kribbeln, die Nervosität steigt. Es ist wie ein riesiger Knoten im Bauch - aber ein guter. Ich laufe durch den Flughafen, der mir komisch vertraut ist. Das Gepäck des Fluges aus Paris ist auf Gepäckband sechs. Auf los geht's los. Immer, wenn mein Gepäck nicht unter den ersten fünf ist, habe ich Angst, dass es weg ist. Und dann muss ich mir auch noch um zwei Gepäckstücke Sorgen machen. Aber da ist mein Rucksack! Und direkt dahinter mein Koffer. Nein, das ist nicht ihr Koffer sondern meiner, danke. 
Plötzlich stehe ich da. Zwischen den Gepäckbändern. Rucksack auf, Koffer in meiner linken Hand und Handgepäck über der Schulter. Mein Leben aus Togo in drei Gepäckstücken, so kurz davor wieder in mein altes Leben zurück zu kehren. Ich will nach vorne rennen und gleichzeitig zurück in dieses Flugzeug.
Ich gehe durch die Tür. Auf mich wartet Liebe, Freude und ein Luftballon. Mein Herz pocht wild und ich bin vor allem froh. Verdammt froh. Erleichtert? Keine Ahnung. Und dann verlassen wir das Gebäude. Fizzelregen und gefühlte 0° erwarten mich. Mein Pulli schützt mich nicht wirklich, aber das Auto ist nicht weit weg und schnell kann ich mich darin aufwärmen. 
Zwei Stunden dauert die Fahrt, die mich nach Hause bringt. Oder zumindest in mein altes Leben. Auf der Autobahn sehe ich so viele LKWs und Autos mit deutscher Werbung. Guck mal, da ist ein Maler! Und da fährt ein Elektriker! Ach ja, so besonders ist das ja gar nicht.

Hallo und Herzlichen Willkommen zurück in Deutschland! Und Hallo an alle, die diesen Post lesen.
Über vier Wochen bin ich wieder hier und das Leben geht weiter. Ich genieße vor allem die Vorteile. Leitungswasser, das ich so trinken kann. Autofahren. Ein Backofen. Eine warme Dusche. Und mein geliebtes Fahrrad. Aber ich vermisse so viel aus Togo. Allen voran meine WG. Freunde. Essen einfach von der Straße kaufen. Haricot, beignes, koliko, fufu und dèguè. Sauce d'arachide. Das Moto-Taxi, das mich einfach so überall hinfährt. Das Handeln. Auf den Markt fahren. Die Palmen vor der Haustür. Die Sonne. Das Tanztraining. Meine Arbeit. Noch immer kann ich es nicht lassen meine Togo-Playlist lauf aufzudrehen. Auch diesen Post habe ich nicht geschafft, ohne Lieder und damit Erinnerungen aufleben zu lassen.
Ich bin aber vor allem erleichtert, dass ich nicht bereue früher geflogen zu sein - das hätte mir mein Herz zerbrochen und wahrscheinlich alles zerstört.

Jetzt sitze ich also hier in Deutschland und die Pläne, die ich ungefähr stündlich änderte, nehmen wirkliche Formen an. Seit Mitte April habe ich eine Zusage aus Groningen, ab September werde ich dort studieren. Yeah! Was aber auch heißt, dass ich grade ein Zimmer in einer WG suche, was gar nicht so einfach ist. Denn wer hätte es gedacht, aber ich bin tatsächlich nicht die einzige. Geschichten von meinen Eltern - 'früher standen wir schon morgens bei den Zeitungsverlagen und haben WG-Angebote angeguckt, dann sind wir dorthin gefahren, um uns in eine lange Schlange zu stellen' - spielen sich heute dann doch ein bisschen anders ab und doch irgendwie gleich. 50+ Anfragen auf ein WG-Zimmer bei Facebook sind normal. Dreimal war ich in den letzten zwei Wochen in Groningen und habe mir WGs angeguckt. Drückt mir die Daumen, dass ich demnächst mal eine positive Rückmeldung bekommen werde, ich brauche sie! 
Dann geht es mit einer Freundin für 10 Tage in die Niederlande. 'Erkunde deinen Studienort' oder so ist das Motto. Dann bin ich für ein paar Tage wieder in Deutschland, in denen sowohl meine beste Freundin wieder kommt als auch meine Schwester ihren Realschulabschluss macht. Mit ihr fahre ich dann für 18 Tage mit Interrail durch Skandinavien. Wieder bin ich für ein paar Tage in Deutschland, bevor ich als Betreuerin einer Ferienfreizeit nach Italien fahren werde. Wenn ich dann wieder komme, ist es schon Ende Juli und es steht einem Umzug Mitte Augusts - hoffentlich - nichts mehr im Wege.
Wie sagt man so schön? Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - Sieh sie dir an. Ok, Kurt Tucholsky war der, der es sagte. Damit wird er zweimal zitiert - Herzlichen Glückwunsch Kurt! Aber darum geht es nicht, sondern darum, dass ich reisen will. Und ja, die Welt ist eine riesige Sehenswürdigkeit und ich will jedes Jahr einen neuen Teil davon entdecken.

Hier sitze ich also auf dem Sitzsack. Laptop auf dem Schoss, Tee in einer riesigen Tasse. Ach ja, Netflix ist auch etwas, was ich wieder gucken kann. Ich trage ein Top, das in Kanada bei einem paint fight bunt wurde und eine kurze Hose, die ich in Togo habe schneidern lassen. In meinem Zimmer sehe ich die Kanadaflagge mit lieben Worten von meinen Freunden dort. Die Togoflagge aus pagne. Karten aus Togo mit den unterschiedlichsten Bildern. Eine kleine Pinnwand mit allen möglichen und unmöglichen Erinnerungen. Bilder von der Zeit in Kanada. Jean Paul sagte einmal "Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können." und ich könnte ihm nicht mehr zustimmen. Sie lassen mich leben. Bringen mich zum Schmunzeln, lautem Lachen, zum Schlucken und zum Weinen. Sie sorgen dafür, dass mein Herz dort ist, wo es grade ist - verteilt auf drei verschiedenen Kontinenten. Und ich mag das. Sehr sogar und werde nicht aufhören, bis mein Herz noch mehr verteilt ist.

Auf mehr Reisen, mehr Erfahrungen und Erinnerungen, mehr Bilder, mehr Lachen und vor allem mehr Freunde!
Wir hören bestimmt noch einmal voneinander.

Noch einmal Danke für das geduldige Lesen. Ich wünsche euch von ganzem Herzen nur das Beste!

Mara <3

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